Nicosch vergleicht den Übergang von Mahnwachen zu PEGIDA – bis hin zu Querdenken – mit der britischen Serie Doctor Who. In jeder neuen Staffel wird der namensgebende „Doktor“ von einem anderen Schauspieler ersetzt. Ähnlich sei es mit dem Personal und den ideologischen Hintergründen dieser Bewegungen, argumentiert er.
Wohin geht es in Sachen Radikalisierung? Immer weiter in den Kaninchenbau und hin zu Verschwörungsmythen wie etwa QAnon sie verbreitet? Auf die Frage hin, was man denn konkret tun könnte, um gegen diese gesellschaftlichen Prozesse anzukommen, entfährt ihm die Antwort ohne langes Nachdenken: Kultur.
„Das Problem mit dem Hinterland. Der Ecke der Republik, wo nicht viele Menschen sind. Wir haben hier nicht besonders viel Kultur. Und schon gar kein Kulturangebot für Jugendliche, für junge Menschen, für die Leute generell. Wir haben hier auch das Problem, dass die Leute wenig Kultur wollen.“
Ein Bekannter von Nicosch ist DJ und habe ihm einmal erzählt, dass die Leute in seiner Gegend wenig offen seien für neue Ideen.
„Mit neuen Ideen bist du schnell woanders. Da bist du der Aussätzige. Die Leute wollen damit nicht viel zu tun haben. Wir sehen es doch an großen Städten. Überall da wo viele Kulturen aufeinandertreffen, gibt es wesentlich mehr Toleranz dem anderen gegenüber. Gibt es Leute, die sich dafür interessieren. Und das Interesse an anderen Sachen ist so unglaublich wichtig. Da wo keine Kultur ist, wirst du auf Intoleranz, wirst du auf Abneigung, wirst du auf Ablehnung treffen. Und das ist überall im ländlichen Raum – auch in Brandenburg – ein großes Problem.“
Er sorgt sich, dass mangelnde kulturelle Vielfalt und Angebote in diesen Gegenden zu einem „Lokalismus“ führt, wie er es nennt, der irgendwann im Nationalismus enden könnte. „Und deshalb sage ich – ich habe keine Ahnung wie – aber es muss mehr Kultur in den ländlichen Raum.“
Vor Jahrzehnten war Nicosch auch als Mitglied im Verein Mikado in Nauen aktiv. „Da wurde viel mit Kultur gearbeitet und mit Jugendförderung. Gerade wenn du die Jugend beschäftigst, aus ihrer Gedankenwelt rausholst und ihnen zeigst: ‚Wie sieht die Welten da draußen aus. Was kannst du mit dieser Welt machen?‘ Das wurde in diesem Verein gemacht.“
Er beklagt das konservative Parteien Streetwork und Sozialarbeit viel zu sehr vernachlässigt hätten. Die Aufgaben des Vereins seien schließlich an einen kirchlichen Träger übergegangen.
„Streetworker musst du über ein Jahrzehnt laufen lassen, damit sich was zeigt, aber dann zeigt es sich richtig. Das haben die hier immer nur über ein halbes Jahr gemacht, aber dann haben sie gemerkt: ‚Kostet halt nur und zeigt sich erstmal nicht viel.‘ Du kannst aber nicht mit nur einem Streetworker erwarten, dass er 1000-2000 Jugendliche direkt erreicht. Aber das wollte man nicht sehen. Man wollte nur Geld sparen.“
3 Comments
Chocolé · 13. November 2022 at 15:00
Sehr interessant, danke für die Vorstellung von Nicosch – wichtige Arbeit!
gerlinde · 17. November 2022 at 5:32
Nicosch ist ein toller Mensch, ein guter Erklärer und Aufklärer. Gunnar, vielen Dank für den Beitrag!
Das Gegenextrem zum „Schwurbler“? - OSTPROG · 14. Dezember 2022 at 21:34
[…] eigenen Groll gegen diejenigen zu richten, die sich für eine Gesellschaft ohne Desinformation und Verschwörungsmythen eingesetzt […]