Das Kabinett von Bodo Ramelow bat selbst um das schriftliche Gutachten des Beirats, wie auch der MDR berichtete. Auftrag sei eine Stellungnahme gewesen, zu den „im Zusammenhang mit Kindern und Jugendlichen zu beachtenden Erkenntnissen insbesondere im Hinblick auf Infektionsgeschehen, Krankheitsverläufe, Hospitalisierungsrate und Krankheitsverläufe sowie daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen.“
Aus dem Brief geht hervor, dass die letzte offizielle Interaktion zwischen Beirat und Kabinett am 31. August stattgefunden hat. Die Entscheidung der Thüringer Landesregierung, die Maskenpflicht und Corona-Tests an Schulen unter anderem an die Gesamtinzidenz zu koppeln, wurde erst am 21. September getroffen. Glaubt man der Darstellung im Brief, ist davon auszugehen, dass der Wissenschaftliche Beirat bei der finalen Ausarbeitung der Thüringer Corona-Ampel eine vermutlich untergeordnete Rolle gespielt hat.
Zum Thema Testpflicht heißt es im Brief: „Weil Kinder selbst nicht schwer erkranken und Erwachsene sich impfen lass [sic!] können, sind Quarantänemaßnahmen grundsätzlich weder für den Eigen- noch für den Fremdschutz zu rechtfertigen. Daher sind auch Maßnahmen, die asymptomatische Erkrankte identifizieren können (z.B. mehrmals wöchentliche nicht anlassbezogene Testung aller Kinder mit Antigentesten), nicht mehr gut zu begründen.“ Die Aussage, dass Kinder nicht schwer erkrankten, wird vom SPD-Bildungspolitiker und Mediziner Thomas Hartung scharf kritisiert: „Ich finde es eine Frechheit, dass darin der Eindruck erweckt wird, Kinder könnten nicht schwer erkranken.“
Ein wichtiger Satz aus dem Schreiben, der in der Meldung der Deutschen Presseagentur nicht zitiert wird, lautet: „Gleichzeitig empfiehlt der Beirat das konsequente Tragen von Masken und eine systematische Umsetzung der AHAL-Regeln – auch wegen der anderen respiratorischen Infektionserkrankungen (z. B. Influenza oder RSV) und weist auf die Bedeutung von geimpftem Personal und geimpften Eltern für einen erhöhten Schutz von Kindern hin.“ Damit positioniert sich der Beirat klar für eine Maskenpflicht an Thüringer Schulen.
Der Wissenschaftliche Beirat erklärt sich im Brief weiterhin dazu bereit, der Landesregierung für ein Gespräch zur Verfügung zu stehen. Dabei regt dieser an, dass ein solches Treffen aus seiner Sicht von einer Pressekonferenz bergleitet werden könnte. Der Beirat fordert in dem Schreiben außerdem, dass ihm eine aktuelle Datenbasis zur Verfügung gestellt wird, um „den Diskurs von anekdotischen und politisierten Debatten auf eine rationale Grundlage zu stellen.“ Drastisch heißt es, dass der Beirat mit der Datenlage „seiner Beratertätigkeit nicht mehr in der angestrebten Qualität nachkommen kann.“ Mit Verweis auf Datenerhebungen aus dem Vereinigten Königreich und Israel sei die Lage in diesem Bereich „unbefriedigend und in der Sache (Pandemie) als unangemessen zu bezeichnen.“
Am Ende warnt der Beirat, dass die geringe Impfbereitschaft „regional zu einer Überlastung des Gesundheitssystems“ führen könnte, wovon dann auch vollständig geimpfte Kinder und Jugendliche betroffen wären.
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Corona Crush in Thüringen: Wo sind die Medien? - OSTPROG · 18. Oktober 2021 at 20:48
[…] Am Freitag wurde mir das Sondergutachten des Wissenschaftlichen Beirats an die Landesregierung Thüringen zugespielt. Der Brief mit dem Gutachten wurde am Donnerstag, dem 14. Oktober an die Staatskanzlei von Bodo Ramelow geschickt. Darin wird unter anderem das Tragen von Masken empfohlen und Kritik an der zur Verfügung gestellten Daten über die pandemische Situation an Schulen angemahnt. Die Deutsche Presseagentur (dpa) hatte am Freitag ebenfalls unabhängig von meiner Berichterstattung Zugang zum Gutachten, woraufhin einige private Medien berichteten, allerdings überwiegend überregional. In der ersten Meldung wurden aber fast ausschließlich auf Passagen zum Nutzen von Tests zitiert. Am Samstag, so bestätigte mir ein Pressesprecher der dpa, wurde dann eine weitere Meldung nachgeliefert, in der auch auf die weiteren relevanten Passagen eingegangen wurde, über die ich hier bereits am Freitag berichten konnte. […]