Die Initiative Familien ist nicht in Thüringen aktiv. Dennoch liegt die Vermutung nahe, dass ihr Lobbying in einigen einflussreichen Bundesländern ein perfektes Match für die dort krisengeplagten Kultusminister:innen war. Diese kamen – so legt es zumindest eine Recherche von Annette Bulut nahe – mit der Komplexität der Erklärungen einiger Wissenschaftler:innen nicht zurecht. Was passt da besser, als eine Komplexitätsreduktion durch eine Minderheit von Wissenschaftler:innen und einer Initiative, die mit einfachen Antworten leichtes Gehör bekommt?
Gruppendenken nennt sich der psychologische Mechanismus, der dazu geführt haben könnte, dass sich viele Bundesländer im Umgang mit der Krise einander annäherten, obwohl es in anderen keinen direkten Einfluss der Initiative gab. Krisen sind ein perfekter Nährboden, um Prozesse des Gruppendenkens anzustoßen.
Methodisch ist die Initiative Familien – folgt man der Darstellung von Thomas Pettinger – geschickt, aber auch emotional manipulativ vorgegangen, um sich das Vertrauen von Politik und Medien zu sichern. Da kommt auch mal die Tochter einer Mitbegründerin zu Wort, die gesagt haben soll: „Corona zerstört mir mein Leben“. Eine Vierjährige soll das gesagt haben. Da werden Wunschzettel von Kindern an eine Bürgermeisterin übergeben. Da werden „Teddy-Demos“ veranstaltet, bei denen Plüschfiguren mit Botschaften von Kindern – so heißt es – präsentiert werden.
Die Presse hat man im August 2020 ebenfalls durch eine Horrormeldung an sich gebunden. Man behauptete von Seiten der Initiative, dass es die Androhung von Isolation für Kita-Kinder in Bruchsal – Kreis Karlsruhe – gab. Der erste Bericht den ich dazu finden konnte, stammt vom 30. Juli. Bereits am 1. August korrigierte der dortige Landrat, dass es sich um ein Missverständnis handelt. Auch die österreichischen Fakten-Checker von Mimikama bericheten. Zahlreiche Medien berichteten daraufhin über den gesamten August. Erstaunlich war, wie wenige davon eine korrekte Einordnung lieferten und die Pressemitteilung des Landrats dazu nicht benannten. Nachzuprüfen in meiner Ausarbeitung.
Den Einfluss der Initiative konkret zu bemessen, ist schwierig, um bei den Worten von Julia Ley zu bleiben. Aber man sollte es versuchen, denn es lohnt. Aus meiner Sicht hat die Initiative eine Mitverantwortung für die Fehler der Politik und der medialen Verzerrung. Damit trägt sie in meinen Augen auch eine Mitschuld an der derzeitigen Lage. Mitschuld. Nicht Alleinschuld. Wie groß diese ist, darüber werden sicher die Historiker:innen streiten.
Ich „begnüge“ mich dabei, Nero zu spielen. Der Karneval tobt und die Masken sitzen. Die Masken an den Schulen sind längst gefallen. Die Maske der Initiative Familie ist es auch.
5 Comments
Der naive Liberalismus des Tom Bohn: Tatort Querdenken - OSTPROG · 20. Dezember 2021 at 0:35
[…] hier bereits gute Arbeit, aber mehr Sensibilisierung ist dringend notwendig. Nicht nur im Hinblick auf das Prinzip der falschen Ausgewogenheit, sondern auch um der Aufgabe eines „watch dogs“ effektiv […]
Presserat duldet Intransparenz? - OSTPROG · 19. Februar 2022 at 17:53
[…] „false balance“ (falsche Ausgewogenheit) habe ich bereits in verschiedenen Kontexten geschrieben. Auch der Deutsche Presserat war bereits Thema. Heute geht es um eine Verschmelzung beider Themen […]
Das Ende des »Status quo«-Journalismus - OSTPROG · 16. März 2022 at 21:22
[…] bei Lanz, in der die Schülerin für ihre Positionen wenig Unterstützung fand. Aber auch in der nachweislichen medialen Bevorteilung der Initiative Familien, die mittlerweile sogar von Ulrike Guérot unterstützt wird. Die Einladung […]
Transparenzkalender 2021 - OSTPROG · 22. Mai 2022 at 3:09
[…] Medienanalyse weist eine falsche Ausgewogenheit in der deutschen Berichterstattung über Elterninitiativen im Zusammenhang mit Corona […]
Initiative Familien: Von allen guten Medien verlassen? - OSTPROG · 28. Mai 2022 at 11:45
[…] „Deutsche Medien haben all das ignoriert“, würde ich impulsiv fast schon schreiben wollen. Nein, deutsche Medien haben es nicht ignoriert. Die meisten Redaktionen und Journalist:innen von etablierten Medien, müssen davon wissen. Anders lässt sich nur schwerlich erklären, weshalb die Initiative medial fast keine Rolle mehr spielt. Vor dem Herbst 2021 war das noch anders, wie ich belegen konnte. […]